Aneinander – Vorbei

„Warum haben Sie Ihn denn nicht festgehalten?!”

”Festgehalten. Festgehalten! Ich habe Sie festgehalten, in meinen Armen hielt ich Sie.”

„Hören sie mir überhaupt zu? Hallo? Ich habe ihnen eine Frage gestellt!”

„Ich hielt sie, wie ein kleines Kind. Ihre Augen strahlten noch immer so blau, wie damals, als sie noch jung war, als ihre Augen noch jung waren und nicht so trübe durch den Staub der Welt. So ein reines blau. Mein Großmutter hat sie immer beneidet für ihre Augen.”

„Wissen Sie überhaupt, wo sie sich befinden? Wissen Sie, was passiert ist?!”

„Oh ich weiß, ich sollte nicht trauern. So lange wie ihre Füße über diese Erde wandelten. Sie hat mehr ertragen, als man einem Menschen zumuten kann. Vater starb vor 15 Jahren und mein kleines Schwesterchen überlebte nicht einmal die ersten Monate. Dennoch war Sie stark! Stark genug, um mir das Leben zu schenken, mich groß zu ziehen. Ob Sie Glück empfand? Das kleine Glück vielleicht?”

„Sie können von Glück reden, wenn man Sie nicht ins Gefängnis steckt, ist ihnen das überhaupt klar?!”

„85 und immer noch glücklich. Nein, das Leben funktioniert nicht so. Wenn wir älter werden, werden wir jünger. Wir empfinden unsere Sterblichkeit wieder stärker. So wie beim ersten Mal. Man ist weniger Kind, wenn man erkennt, dass das Leben ein Ende hat. Irgendwo. Und diese Erkenntnis kehrt zu uns zurück, egal wie weit wir von ihr weglaufen”

„Wovon zum Teufel reden Sie denn da? Wissen sie, dass man sie wegen unterlassener Hilfeleistung belangen kann? Ist Ihnen denn nicht klar, was hier soeben vorgefallen ist!?”

„Ich glaube Sie wollte es so. Sie war bereit zu gehen, da bin ich sicher. Ich weiß noch, als der Arzt vorschlug noch eine weitere Therapie zu versuchen, da meinte Sie nur: ‚Reisende soll man nicht halten’.”

„Würden Sie mir nun bitte endlich erklären, warum Sie Ihn nicht festhalten konnten? Der Junge war erst 17 Jahre alt, verdammt! Er hatte noch so vieles vor sich!”

„Heute Morgen wollte ich Sie besuchen fahren. Wie jeden Mittwoch. Aber ihr Zimmer war leer. Untersuchungen, dachte ich. Nicht weiter ungewöhnlich. Aber als ich dann in die Augen der Pflegerin sah. Sie musste nichts sagen. Es stand da, in ihren tränenlosen Augen.”

„Noch mal von vorne: Als sie vorhin über den Bahnsteig gegangen sind, war da dieser Junge auf seinem Skateboard. Es gibt Zeugen, die sagen, sein Board wäre ihm unter den Füßen weggerutscht und er wäre gestürzt. Keiner der Befragten gibt ihnen die Schuld. Aber sie hätten ihn halten können!”

„Aber das habe ich doch schon erklärt, Herr Kommissar.”

„Erklärt? Sie haben bisher nicht eine meiner Fragen beantwortet, Himmel noch eins!”

„Doch natürlich. Ich sagte ihnen doch: Reisende – Reisende soll man nicht halten.”

Mona Lisa

Ich war das erste Mal 2007 in Paris. Wie das eben so läuft, wenn man eine neue Stadt besucht und zu wenig Zeit hat, hetzte ich von Sehenswürdigkeit zu Sehenswürdigkeit. Am Ende des dritten Tags warf ich einen Blick in meinen Terminkalender und begann mit traurigem Blick aus den verbliebenen Urlaubstagen Termine zu streichen.
Übrig blieben, ein Spaziergang an der Seine und der Besuch des Louvre. Als ich am nächsten Morgen die Vorhänge meines Hotelzimmerfensters zur Seite schob, begrüßte mich ein trister Morgen mit Bodennebel und Nieselregen. Ich kämpfte mühsam gegen den Drang an, mich wieder schlafen zu legen und beschloss spontan den Spaziergang am Fluss auf den nächsten Tag zu verschieben und stattdessen meinen Museumsbesuch vorzuziehen.
Im Frühstücksraum des Hotels war ich der einzige Gast und so konnte ich in aller Ruhe zwei Croissant essen und bei einer Tasse Kaffee in den Plänen der Metro die richtige Untergrundbahn suchen. Ich ging nur noch einmal kurz zurück in mein Zimmer um meine Kameratasche einzupacken, dann machte ich mich auf den Weg.

Zuerst wunderte ich mich, dass die Metro fast leer war, aber dann fiel mir ein, dass ja Sonntag war und außerdem erst kurz nach acht Uhr morgens. So hat es mich auch nicht mehr sonderlich überrascht, dass das Museum ebenfalls so gut wie leer war.
Die einzigen Menschen, die mir sonst noch auf den Gängen des Louvre über den Weg liefen, waren Museumsangestellte. Und natürlich eine große Gruppe historischer Gestalten aus Stein oder Ölfarben. Auf meinem Weg traf ich Albrecht Dürer und die drei Schönheiten, die Medusa und die Besatzung des Narrenschiffs.
Meine letzte Etappe brachte mich dann in die Gesellschaft der wunderschönen Mona Lisa.
Ihr sanftes Gesicht hatte eine beruhigende Wirkung auf mich, so dass ich mich kurz entschlossen vor sie auf den Boden setzte. Da vom Ansturm der Besucher immer noch nichts zu sehen oder zu hören war, konnte ich mir erlauben, ihre Gestalt eingehender zu betrachten. In ihrem vergoldeten Rahmen strahlte sie eine Gelassenheit aus, die man in der heutigen Zeit nur mehr in Apotheken erhalten konnte! Nichts vom hektischen Leben der Moderne, mit ihrem Overkill an Kommunikation, zeigte sich auf ihrem Gesicht. Wäre ich nicht so beherrscht, hätte ich fast Neid empfunden.
Mein Blick löste sich sehr zögerlich von ihren Lippen, nur um sofort von dem kecken Ausdruck in ihren Augen gefangen zu werden. Es fiel mir schwer, mich dem oberen Bildrand und den Ausläufern des Rahmens zu widmen, doch dann gelang es einem überraschenden Detail meine Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Ein überdimensionierter Nagel stach wenige Zentimeter über dem vergoldeten Rahmen aus der Wand. Selbst als Laie erkannte ich sofort, dass ein Bild von der Größe dieses da Vincis niemals so schwer sein konnte, um eine derart stabile wie entstellende Befestigung zu rechtfertigen! Eine bisher unberührt gebliebene Ahnung von Ästhetik fühlte sich verletzt und forderte eine Rechtfertigung, nein, Satisfaktion!
„Sie haben den Nagel bemerkt, habe ich Recht?”, vernahm ich eine Stimme hinter mir. Einer der Wachleute des Louvre hatte meine Versenkung ausgenutzt, um sich unbemerkt anzuschleichen. „Ich muss Sie beglückwünschen! Nur die wenigsten Besucher bemerken dieses Detail überhaupt. Bei vollem Betrieb ist das Museum so hektisch wie ein Bienenstock im Frühling. Nun…zumindest dieser Bereich. Da bleibt kaum Zeit für mehr als einen flüchtigen Blick und vielleicht ein heimliches Foto. Immerhin ist die Mona einer unserer berühmtesten Gäste!”
„Schleichen Sie sich immer so an harmlose Besucher an?”, wollte ich von dem Mann wissen. „Mir ist um ein Haar das Herz stehen geblieben!” Natürlich übertrieb ich maßlos, aber der Schreck saß mir immer noch in den Knochen. Ich fühlte mich ertappt, wie damals als Teenager, mit meiner ersten richtigen Freundin. Der Wachmann überging meinen halbherzigen Protest und fuhr unbeirrt fort: „Das Gemälde der Mona Lias ist eines von da Vincis kleinsten Kreationen. Selbst in diesem massiven Edelholzrahmen wiegt das Bild nicht mehr als 2,3 Kilogramm. Das klingt normal, nicht wahr? Ja. Aber trotzdem….”
Seine verschwörerische Sprechpause reizte mich. Immerhin: erst wollte er mich umbringen und dann sollte ich noch seine Märchenstunde mitmachen? Wäre ich nur nicht so schrecklich neugierig! „Trotzdem was?”, erlöste ich den Mann endlich.
„In jedem Jahr, seit die schöne Mona hier hängt, musste das Kuratorium größere und stabilere Nägel zu ihrer Befestigung anbringen. Ein paar Direktoren hielten das für ein Hirngespinst und ließen das Bild von Wissenschaftlern vermessen und erhielten allesamt die gleiche Antwort: 2,3 Kilogramm. Sie unterließen es, die Nägel zu verstärken und nach wenigen Monaten passierte es dann immer – die Mona fiel von der Wand und plumpste zu Boden. Ihr Rahmen nahm dabei immer einige Dellen mit und musste aufwendig restauriert werden. Aber sie haben es gelernt. Seither werden die Nägel und Dübel immer größer und robuster. Leider auf Kosten des ästhetischen Moments.” Er hatte kaum zu Ende gesprochen und blickte mich erwartungsvoll an, als wollte er meine Gedanken erraten, als es aus mir heraus quoll wie Wasser aus einem kartesischen Brunnen. Ich lachte. Ich lachte so laut und herzhaft, wie schon lange nicht mehr und genoss jede Sekunde davon! Es müssen fünf oder mehr Minuten gewesen sein, in denen ich nichts anders tun konnte als zu lachen, bis ich endlich wieder in der Lage war zu sprechen. „Das ist wirklich ein großartiges Märchen, mein Herr.”, meinte ich während ich bemüht war, mir Tränen aus den Augenwinkeln zu wischen. „Aber erklären Sie mir doch bitte, wieso das Bild Ihrer Meinung nach so schwer wird?! Glauben sie etwa, Madame Mona hätte über die Jahrhunderte zugenommen?”
„Non, non, non, mon ami.”, erwiderte der Wächter entrüstet. „ich denke, dass die Mona auch weiterhin 2,3 Kilogramm wiegt Monsieur. Aber was zugenommen hat, über all die Jahre anwuchs, das waren die Erwartungen derer, die sie gesehen haben!” Damit hatte ich nun wirklich nicht gerechnet. Hätte ich erst an einen fabelhaften Scherz gedacht, so überraschte mich nun die Ernsthaftigkeit der vorgebrachten These zutiefst.
„Eh oui! Mona ist eine der faszinierendsten Personen die ein Künstler je geschaffen hat. Ich arbeite nun schon seit über 20 Jahren im Louvre und zu schildern, was meine Augen hier alles gesehen haben, würde Tage dauern. Manche Männer hinterlassen ihr Rosen, wenn Sie sie besuchen kommen, andere weinen Tränen des Glücks bei ihrem Anblick!
Wir Menschen neigen dazu, Bilder mit Bedeutungen zu überladen. Klar. Bilder, auch Sinnbilder, sind leichte Beute, können sie sich doch nicht dagegen zur Wehr setzen. Glauben Sie etwa eine echte Mona Lisa wäre mit dem Ruhm und der Berühmtheit fertig geworden, den alle Welt ihr über die Jahrhunderte zuteil werden ließ? Oder wäre sie nicht eher traurig geworden und verbittert, ob der vielen gebrochenen Herzen, die sie indirekt verursacht hatte? Was wäre wohl tatsächlich in ihren Augen zu lesen, wüsste sie von all dem?
Solcher Art Erwartungen wiegen schwerer, als ein wenig Holz, oder Leinwand und Farbe. Oder sehen Sie das anders?” Mit diesen Worten fasste er sich an die Krempe seines Huts und ging ohne ein Grußwort davon.

Ich aber saß noch über eine Stunde am Boden und musterte die Mona bis die ersten Besucherströme mich nach draußen spülten. Seit jenem Tag gehe ich mit anderen Augen durch die Welt. Besonders in Kirchen wie dieser wird mir deutlich, wie wahr die Worte des Wächters doch waren. Wir Getaufte, wir Christen beten doch zu einem Menschen, den wir den Sohn Gottes nennen, dessen Sinnbild wir aber nur ans Kreuz genagelt in unsere Gebetsräume hängen. Und jedes Mal, wenn ich eine mir unbekannte Kirche betrete, wundere ich mich, wie klein die Nägel in seinen Händen und Füßen noch immer sind. Trotz der 2000 Jahre, in denen wir es nicht gewagt haben ihn endlich von dort zu befreien, um ihn stattdessen weiter mit unseren Gebeten, unseren Wünschen und Erwartungen zu behängen und durch sein Leiden das Leid anderer zu rechtfertigen. Aber vielleicht haben diese Nägel ja einen anderen Zweck. Denn manchmal haben Sinnbilder auch den Drang einfach wegzulaufen – wenn sie nichts daran hindert.

Berichtsheft für diese Woche ;)

Montag:
Uff… schon wieder Montag. Die ganze Welt ist nur Montag. Ich hasse Montage! Wie ich aus dem Bett kam hatte ich bereits vergessen, als ich den ersten Schritt ins Badezimmer tat. Im Spiegel begrüßte mich ein Gesicht, dass nicht meines war. Mein Mitbewohner war sichtlich nicht erfreut, dass ich ihn aus der Dusche gesprengt hatte! Wortkarg drehte ich mich um, furzte resigniert und begab mich in Richtung Kleiderschrank. Erst als ich wieder in mein Zimmer kam, bemerkte ich, dass ich dort nicht alleine war! Wo sonst eine kleine Kuhle als Abdruck in meiner Matraze zu sehen war, beulte sich deutlich – viel zu deutlich – ein menschlicher Körper unter der Bettdecke. Panisch überlegte ich, ob ich gestern Nacht in der Disko oder im Nilpferdhaus weg gegangen war. Kam aber dann zu dem Schluss, dass alles besser war, als die Wahrheit und packte daher meine Sachen. Ab zur Arbeit! Als ich das Haus verließ, fiel mir auf, dass ich gar nicht zu Hause war. Scheiß Ikea-Möbel!

Dienstag:
Nachdem ich heute aufgewacht war, stellte ich fest, dass meine Freundin einen Steifen hatte. Hals meine ich natürlich. Als ich diesen wegmassiert hatte, ging ich ins Badezimmer, um mich von überschüssiger Körperbehaarung zu befreien und einen Menschen aus mir zu machen. Müde wie ich war entglitt mir ständig die Zahnbürste. Aber Autofahren, Autofahren geht immer!
Mit leicht verschwommener Sicht – ich hatte versehentlich Zahncreme auf die Kontaktlinsen getropft – fuhr ich in die Arbeit. Ohne von der Polizei gemaßregelt zu werden kam ich pünktlich dort an! Das Büro war glücklicherweise noch leer, als ich dort aufschlug und so konnte ich mich erst mal wieder eine Stunde aufs Ohr hauen. Ich hörte damit auf, als es anfing weh zu tun. Den Rest des Tages füllte ich mit Arbeit.

Mittwoch:
Nachdem ich heute Morgen etwas später aufgewacht bin, als geplant war, musste ich die Zeit im Badezimmer etwas verkürzen. Gott sei Dank gibt es Deo! Danach kümmerte ich mich darum, meinen Körper mit Kleidung nachzuversorgen. Es ist schon eine Krux mit den verschiedenen Sockenfarben! Als ich mich zur Zufriedenheit meiner Selbst und hoffentlich auch aller Mitmenschen eingekleidet hatte, begab ich mich außer Haus und fuhr mit dem Fahrrad in die Arbeit. Zwischendurch hielt ich noch bei einer Bäckerei, um mich einem Stück Erdbeer-Rabarber-Streusel-Kuchen zu widmen. Nachdem ich schließlich den anstrengenden Weg zum Aufzug hinter mir gelassen hatte – ich fühle jedes Mal mit diesem Gerät, wenn es mich nach oben trägt – kümmerte ich mich darum, die Luft aus meiner Kaffeetasse zu lassen.

Donnerstag:
Edding! Edding war das erste, was ich heute sah und dachte. Gestern war es feucht-fröhlich zugegangen im Büro und ich konnte und wollte mich nicht erinnern, wie es dazu kam, dass ich am ganzen Körper schwarz angemalt in meinem Badezimmer stand. Nach dem ersten Kontakt zu Wasser und Seife wusste ich: Edding!
Als ich anfing mich schwarz zu ärgern, erkannte ich die Sinnlosigkeit dieser Tat und begab mich zu meinem Kleiderschrank. Der weiße Smoking, der seit Jahren dort vor sich hinstaubte kam mir nun sehr verlockend vor. Ich streifte ihn über und machte mich auf den Weg zu meinen lieben Kollegen. Im Büro angekommen erwartete mich ein voller Müllkübel. Edding, permanent. Das letzte Wort hätten sie sich sparen können. 50 extra breite Stifte lagen dort drin. Alle leer! War heute nicht der Tag meiner Jahresbewertung? Nun, der Chef würde sich wundern!

Freitag:
Wer hätte gedacht, dass ich diese Woche überleben würde. Dabei war sie eigentlich gar nicht so besonders. Abgesehen von einigen unerwarteten Wendungen, verlief sie genau, wie ich sie geplant hatte. Gott sei Dank ist Freitag! Dies war mein erster ehrlicher Wochenbericht.

Nürnberg, den 1. April 2009

Tafelkreidezeit

Ja ist es denn tatsächlich wahr? Endlich wieder eine Geschichte aus meinem Gehirn exportiert!? Ums vorweg zu sagen, eigentlich ist das hier eine Hausaufgabe. Der Literaturstammtisch hat letztes Wochenende mal wieder getagt, wenn auch deutlich unterbesetzt und wir haben uns auf eine kleine Übungsaufgabe geeinigt. Viel Vergnügen also!
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Jetzt halt mal die Luft an!

„Wie lange diesmal Papa?“
„So lange wie du kannst, mein Sohn – so Gott der Herr will!“
„Ja Papa, ich werde es tun, dir und dem Herrn zur Ehre.“
(5 Minuten 34 Sekunden später – oder wie man damals die Zeit maß)
„Wie lange – *keuch* – war es – *keuch* – diesmal, Papa?!“
„Ich fürchte – nicht lange genug, Jafet. Gott ist zwar mächtig, es würde mich aber wundern, wenn seine Sintflut so schnell vorbei wäre.“
„Dann müssen wir doch ein Boot bauen, Papa?“
„Ja, mein Sohn, wir bauen doch ein Boot.“

Herr Raummann

Hallo, mein Name ist Thomas Raummann. Sie kennen mich nicht? Puh! Das ist vermutlich das größte Kompliment, das Sie mir heute machen konnten…
Wie bitte? Filmstar? Nein,…schlimmer!
Pardon? Ob ich Sie was? Aufziehen? Um Himmelswillen, nein!
Das ist ein Missverständnis. Wissen Sie, genau genommen bin ich auf der Flucht. Hm? Dr. Kimble? Ford wer…? Sagte ich nicht gerade eben, dass ich kein Schauspieler bin?
Darf ich nun weiter sprechen? Danke.
Wo war ich stehen geblieben? Ah ja, genau. Auf der Flucht!
Hm? Sie haben Recht. Es ist leichtsinnig Ihnen zu verraten, dass ich auf der Flucht bin, ja. Und auch den ganzen Rest sollte ich eigentlich für mich behalten, wenn ich genauer darüber nachdenke. Aber wenn ich Sie heute Abend verlasse und durch diese Tür dort drüben gehe, werde ich ein ganz anderer Mensch sein, als ich es vorher war. Zumindest in Ihrer Vorstellung.
Woher ich mir da so sicher bin? Nun, erstmal: Sie sind eine Frau. Und zum Zweiten: So war es schon immer! Weiterlesen

Mein Hut

„Das ist mein Hut!“, sagte ich mehr zu mir selbst, als zu dem Dreistling, der ihn sich gerade eben nehmen wollte. Dann wandte ich mich ihm zu und wiederholte es. Nur für ihn.
„Oh, entschuldigen Sie, ich dachte es wäre meiner. Aber ich sehe jetzt, dass der Hut mir nicht passt.“, erwiderte er freundlich, griff sich den kleineren Hut, der meinem nicht im geringsten ähnlich sah und ging.

Das ist so eine Sache, mit meinem Hut. Lange Zeit hatte er meinem Vater gehört. Er ist ein Erbstück, wenn man so sagen wollte. Aber Vater lebte natürlich noch. Er entschloss sich nur, seinen Lebensmittelpunkt auf das Altenteil zu verlegen. Pension im reiferen mittleren Alter hatte Vorteile. Man konnte noch genießen, was man sich erarbeitet hatte und war nicht zu senil, um das Leben an und für sich nicht genießen zu können.
Für viele alte Männer gleiten die Tage nur so dahin, kaum unterscheidbar zwischen Tag und Nacht. Vater war da anders.
Hier und da besuchte er mich in der Arbeit. Dann betrachtet er seinen alten Hut, wie er seinen jungen Sohn schmückt und denkt sich etwas. Aber er sagt mir nie, welche Gedanken er dann wälzt. Nur einmal deutete er etwas an.
„Wenn du so weit bist, deinen Hut zu geben, dann wirst du wissen worum es geht, Sohn.“ und er lächelte, aber es war auch eine Spur Gewürz in seinem Lächeln, es war ein Ingwerlächeln. Erfrischend aber scharf.

Jeden Sonntag bin ich hier und trinke Wiener Melange. Ich mag Kaffee. Er macht mich nicht wach, er weckt keine Geister, aber er schmeckt mir. Mir schmeckt nichts besser, als Wiener Melange. Sonntag schmeckte nach Wiener Melange.
Schon morgens beim Aufstehen und abends, wenn ich zu Bett ging hatte ich ihr Aroma auf den Lippen und in der Nase. Mutter mochte sie auch. Mutter.
Mutter starb, als ich das Licht der Welt erblickte. Sicherlich glaubt der geneigte Leser ich würde phantasieren, aber ich weiß genau, das Mutter diese Sorte mochte. Und Mutter mochte Sonntage.

Da! Schon wieder! Diesmal war es eine Dame, die verstohlen blickend einen Griff an meinen Hut riskierte. Doch ich war wachsam. Niemand durfte ihn mir nehmen. Es gab schließlich Gesetze und in diesem Fall waren die Strafen hart!
Ich räusperte nur, was der gnädigen Frau Anlass genug war nur nach ihrem Sonnenschirm zu greifen und das Café zu verlassen. Von all denen, die ich schon auf frischer Tat ertappte, war kein einziger dabei, dem mein Hut gepasst hätte. Hüte tragen Verantwortung, Menschen tragen Hüte. So war das schon immer.
Woran es liegen mochte, dass die Leute so erpicht auf meinen Hut waren? Sie ahnten nicht, was sich alles unter ihren Köpfen verbergen würde, täte er ihnen passen. Und allen anderen würde er die Sicht nehmen in ihrem Wahn oder vom Kopf fallen und auf die Zehen, was nicht minder schmerzhaft wäre.

Nun, der letzte Schluck aus der Tasse, mit viel Zucker, ich rührte nie stark und einer kleinen Sahnehaube oben auf. Schluss mit Müßiggang, die Arbeit wartet!
„Ober bitte zahlen!“, rief ich den Kellner heran.
„Sehr wohl, Exzellenz.“, antwortete der Mann, der rasch an meinen Tisch geeilt war.
„Die Rechnung wurde bereits beglichen, Exzelenz.“ sagte er gleich danach.
„So?“ Ich war skeptisch.
„Ja, Exzellenz. Ihr wehrter Vater hat sie für Sie beglichen.“
Ich war überrascht, Vater hier? „Wann war er hier, sprich Mann, sprich!“
„Exzellenz. Eure Vater beglich sie, als er meinem das Leben rettete. Damals im Krieg.“, erwiderte der Kellner verlegen.
„Oh.“ blieb mir zu sagen. Dann erhob ich mich und klopfte dem Kellner beim Gehen auf die Schulter.
Ich nahm meinen Hut. Allerlei Stoff hing daran.
Ich sollte mir etwas einfallen lassen. Kleiderhaken waren vielleicht nicht das richtige für ihn.
Vorsichtig zupfte ich einen seidenen Schal von einer Spitze. Und wollene Handschuhe von einer anderen. Es war ein versehen, das war klar. Niemand würde es wagen, die Krone des Königs absichtlich zu verschandeln. Niemand. Niemals. Vater hatte dafür gesorgt.

Im Regal

Ich weiß nicht mehr, wann das war. Irgendwann trifft sicher zu. Ich war einkaufen, auch eine jener alltäglichen Tätigkeiten. Unerlässlich, wenn man sich nicht selbst versorgen kann. Da stand im Angebotsvitrinchen eine Kostbarkeit, nicht preislich, eher dezent in der Auslage. ”4 GB USB STICK!” stand darunter. Und ”SUPER-Eröffnungsangebot – Nur 11,99 €!”.

Während ich gegen einen dieser ‘Genaudaswasichschoimmerhabenwollte’ Momente ankämpfte, fiel es mir plötzlich wie Schuppen von den Augen: Was zum Teufel besitze ich, das 4 GB groß ist!?

Ganz ehrlich, ich habe mir einige Tage überlegt, wie ich euch das verdeutlichen könnte. Aber 4 Milliarden?! Das scheitert doch schon allein daran, dass niemand weiß, was ein Byte ist! Aber Bit, ein Bit hat jeder schon mal getrunken… in einem Kasten Bitburger stecken 20 Bit. 2 Kästen wären damit also 5 Byte. Das ganze ganz grob mal 1 Milliarde und ihr habt den Rausch eures Lebens, gewissermaßen den letzten. Tja, das hilft zwar jetzt dem Großteil der männlichen Besucher heute Abend, aber was ist mit dem schönen Geschlecht?! Ah, genau! Wenn euer Begleiter, Freund, Ehemann oder Bekannter jetzt probiert herauszufinden, wie viel Byte er aufnehmen kann, dann kann ein Bit auch für jedes wütende Funkeln aus euren Augen stehen, sobald ihr gehen wollt – er aber nicht.

Aber zurück zum Thema! 4 GB!!! Das ist genug für eine DVD, aber wozu, wenn es doch schon auf einer DVD drauf ist?! Sonst fiel mir nichts ein, dass ich noch unbedingt konservieren, transportieren oder editieren musste und das auch tatsächlich so groß war.

Nehmen wir mein Weblog, in dem dieser Text steht: 120 Megabyte.
Meine gesammelten Texte: 4,20 Megabyte.

Hätte ich 4 Gigabyte an Liebesgedichten, würde ich sie nicht dort hinspeichern. Vielleicht würde ich sie löschen. Einfach, weil 4 Gigabyte Lyrik niemand interessieren. Die Leute reagieren doch schon allergisch, wenn sie mehr als 3 Gedichte hören oder lesen dürfen.

3 Gedichte: 71 Kilobyte.

Und Leute sind ja jetzt nicht mal von Interesse. Eine Angebetete der man auf mehr als einer Seite in Reimform seine Liebe gesteht, tritt die Flucht völlig zu Recht an. Nirgends ist es literarisch so verpflichtend sich kurz zu fassen, wie in der Liebe.

Kurz: 1 Byte.

1 Byte würde reichen für die allbekannten ‘WillstdumitmirgehenJaNeinVielleicht” Briefchen von vor vielzuvielen Jahren. J, N und V brauchen jeweils ein Byte.
Es geht noch kürzer!

Kürzer: 1 Bit.

Die wohl kürzeste Möglichkeit in der Informatik die Liebe zu gestehen. Sofern jemand fragt. Ein Bit reicht für Ja und Nein, True or False, Strom ein – Strom aus. Die krasseste Allegorie von allen.

Reduziert auf das Maximum: 0 Bit.

Jetzt sind wir da, wo alles angefangen hat. Wie misst man Informationen, die nie fließen? Die höchstens, aber nicht bedingt, auf die reine Annahme von Informationen beruhen?
Mehr ein Schätzen, als ein Wissen. Nichts wofür man seine Hand ins Feuer legen sollte, wofür man es aber trotzdem tut.

Vielleicht liegt das Wage in unserer Natur, wie die Unwägbarkeit in der Natur liegt.
Welche Aussagekraft wir ihm auch immer zuschreiben, ein Blick kann Terabyte an Informationen verschicken und an den Metainformationen verschlucken wir uns ständig!

Metainformation: Dinge von denen wir annehmen, dass sie da sind: Empfänger (ich) z. B., Subtext (ich blinzle dich an, weil ich dich toll finde), Bedeutungen (komm und lad mich auf ein Glas Wein ein!). In der Informationstechnik nennt man das lakonisch Overhead, was sicher davon kommt, dass einem so was schnell über den Kopf wächst, denn wahrscheinlich war es nur eine Wimper und die Senderin abstinent… zumindest in diesem Moment.

Wozu also, um die Frage noch einmal aufzuwerfen, wozu brauche ich 4 GB?

Chroniken des Flüsterns

Flüstern I – John und Johannes

„Kriegsberichterstatter würde mich ein kreativer Lügner wahrscheinlich nennen. So falsch ist das gar nicht, aber in Zeiten wie diesen sind Schönfärber rar. Nicht dass das Berufsbild ausstirbt, ganz im Gegenteil! Die Nachfrage lässt sich viel mehr kaum bedienen. Was ich hier mache, ist tatsächlich eine Form von Berichterstattung, nur ungemein gefährlicher. Ich bin Spion.

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Die Insel – Kurzer Überblick über das, was noch an steht ;)

Irgendwo in den Tiefen der Datenbank findet ihr einen Auszug aus einer Geschichte, an der ich seit letztem Jahr schreibe. Was soll ich sagen, ich komme tatsächlich voran mit dem Ding. Ich habe diese Erzählung jetzt schon auf unglaubliche 19 Seiten aufgebläht und ich habe vor, sie tatsächlich zu beenden. Sollte mir das gelingen, werde ich mich an ein anderes Projekt werfen, das schon viel zu lange auf Fertigstellung wartet.

Am Freitag habe ich mir die Mühe gemacht, alle bisher verstrichenen Tage in der Story zu zählen, einfach weil ich gemerkt habe, dass ich ohne einen gewissen zeitlichen Rahmen nicht mehr voran komme. Bisher war ich der Meinung, dass Dialoge eher zu den Dingen gehören, die mir Schwierigkeiten bereiten, doch nun ist es so, dass sich der Gesamtüberblick als echtes Hemmnis erweißt.

Sollte unter euch irgendwo mal ein Autor sein, der diese Zeilen liest und mir hilfreiche Tips geben kann – immer her damit!

Hier noch ein kleiner Auszug, um eure Neugier zu wecken…

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