Mein Hut

„Das ist mein Hut!“, sagte ich mehr zu mir selbst, als zu dem Dreistling, der ihn sich gerade eben nehmen wollte. Dann wandte ich mich ihm zu und wiederholte es. Nur für ihn.
„Oh, entschuldigen Sie, ich dachte es wäre meiner. Aber ich sehe jetzt, dass der Hut mir nicht passt.“, erwiderte er freundlich, griff sich den kleineren Hut, der meinem nicht im geringsten ähnlich sah und ging.

Das ist so eine Sache, mit meinem Hut. Lange Zeit hatte er meinem Vater gehört. Er ist ein Erbstück, wenn man so sagen wollte. Aber Vater lebte natürlich noch. Er entschloss sich nur, seinen Lebensmittelpunkt auf das Altenteil zu verlegen. Pension im reiferen mittleren Alter hatte Vorteile. Man konnte noch genießen, was man sich erarbeitet hatte und war nicht zu senil, um das Leben an und für sich nicht genießen zu können.
Für viele alte Männer gleiten die Tage nur so dahin, kaum unterscheidbar zwischen Tag und Nacht. Vater war da anders.
Hier und da besuchte er mich in der Arbeit. Dann betrachtet er seinen alten Hut, wie er seinen jungen Sohn schmückt und denkt sich etwas. Aber er sagt mir nie, welche Gedanken er dann wälzt. Nur einmal deutete er etwas an.
„Wenn du so weit bist, deinen Hut zu geben, dann wirst du wissen worum es geht, Sohn.“ und er lächelte, aber es war auch eine Spur Gewürz in seinem Lächeln, es war ein Ingwerlächeln. Erfrischend aber scharf.

Jeden Sonntag bin ich hier und trinke Wiener Melange. Ich mag Kaffee. Er macht mich nicht wach, er weckt keine Geister, aber er schmeckt mir. Mir schmeckt nichts besser, als Wiener Melange. Sonntag schmeckte nach Wiener Melange.
Schon morgens beim Aufstehen und abends, wenn ich zu Bett ging hatte ich ihr Aroma auf den Lippen und in der Nase. Mutter mochte sie auch. Mutter.
Mutter starb, als ich das Licht der Welt erblickte. Sicherlich glaubt der geneigte Leser ich würde phantasieren, aber ich weiß genau, das Mutter diese Sorte mochte. Und Mutter mochte Sonntage.

Da! Schon wieder! Diesmal war es eine Dame, die verstohlen blickend einen Griff an meinen Hut riskierte. Doch ich war wachsam. Niemand durfte ihn mir nehmen. Es gab schließlich Gesetze und in diesem Fall waren die Strafen hart!
Ich räusperte nur, was der gnädigen Frau Anlass genug war nur nach ihrem Sonnenschirm zu greifen und das Café zu verlassen. Von all denen, die ich schon auf frischer Tat ertappte, war kein einziger dabei, dem mein Hut gepasst hätte. Hüte tragen Verantwortung, Menschen tragen Hüte. So war das schon immer.
Woran es liegen mochte, dass die Leute so erpicht auf meinen Hut waren? Sie ahnten nicht, was sich alles unter ihren Köpfen verbergen würde, täte er ihnen passen. Und allen anderen würde er die Sicht nehmen in ihrem Wahn oder vom Kopf fallen und auf die Zehen, was nicht minder schmerzhaft wäre.

Nun, der letzte Schluck aus der Tasse, mit viel Zucker, ich rührte nie stark und einer kleinen Sahnehaube oben auf. Schluss mit Müßiggang, die Arbeit wartet!
„Ober bitte zahlen!“, rief ich den Kellner heran.
„Sehr wohl, Exzellenz.“, antwortete der Mann, der rasch an meinen Tisch geeilt war.
„Die Rechnung wurde bereits beglichen, Exzelenz.“ sagte er gleich danach.
„So?“ Ich war skeptisch.
„Ja, Exzellenz. Ihr wehrter Vater hat sie für Sie beglichen.“
Ich war überrascht, Vater hier? „Wann war er hier, sprich Mann, sprich!“
„Exzellenz. Eure Vater beglich sie, als er meinem das Leben rettete. Damals im Krieg.“, erwiderte der Kellner verlegen.
„Oh.“ blieb mir zu sagen. Dann erhob ich mich und klopfte dem Kellner beim Gehen auf die Schulter.
Ich nahm meinen Hut. Allerlei Stoff hing daran.
Ich sollte mir etwas einfallen lassen. Kleiderhaken waren vielleicht nicht das richtige für ihn.
Vorsichtig zupfte ich einen seidenen Schal von einer Spitze. Und wollene Handschuhe von einer anderen. Es war ein versehen, das war klar. Niemand würde es wagen, die Krone des Königs absichtlich zu verschandeln. Niemand. Niemals. Vater hatte dafür gesorgt.

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