Hinterhof

Langsame, bedächtige Schritte tragen mich voran. Schatten wandern gemächlich an mir vorbei,

manche von ihrer eigenen Idee beseelt, die Welt zu ändern.

Während ich diesem Gedanken nachhänge, ändert sich meine Umgebung.

Scheinbar war ich an irgendeiner Stelle von der Hauptstraße abgebogen.

Als ich mir meines Standorts wieder bewusst werde, stehe ich in mitten eines weitläufigen Hinterhofs.

Abgesehen von einem unübersehbaren Müllproblem, bemerkt man auch einen eigentümlich hartnäckigen

Geruch.

Meine Erinnerung setzt mich sofort an einen Ort zurück, den ich in meiner Kindheit sehr häufig besucht habe, einen Schlachthof.

Unter meinen geschlossenen Lidern malt sich mir die damalige Situation ganz deutlich aus.

Mehrere große und kleine Container; über allem eine kohärente schwarze Masse aus sich windenden Insekten,

meist Fliegen, die die schillerndsten Töne von blau und violett auf ihre Chitinpanzer zaubern.

Ein Auge unter der schwarzen Masse. Dann ein Kopf. Ferkel, drei an der Zahl. Als ich meine Augen wieder öffne, dreht sich alles. Nur langsam übernimmt mein Gleichgewicht wieder seine Aufgabe.

Meine nächsten Schritte tragen mich noch weiter in den Hinterhof hinein. Von meiner Position aus bleibt mein

Rückweg vor mir verborgen, trotzdem erfasst mich keinerlei Panik. Ruhigen Schrittes marschiere ich weiter.

Tief in den Schatten regen sich Gedanken. Sie beunruhigen mich weniger wegen ihrer offensichtlichen Aggressivität, sondern vielmehr wegen ihrer körperlichen Präsenz.

Jetzt nicht kehrt zu machen kostet sehr viel Selbstbeherrschung.

Weiter.

Das Ziel meiner Reise ist erreicht. Ein leises Schluchzen erregt meine Aufmerksamkeit. Ängstliche Gedanken

Fluten auf mich ein, suchen Trost. Unter einer großen Plane liegt der getretene und geschundene Leib eines kleinen Kindes. Sein Name ist Phantasie. Langsam niederkniend, beuge ich mich zu ihm und versuche es zu trösten. Große verweinte Augen blicken mich an, spiegeln mein Gesicht.

Das Schluchzen verklingt. Als ich es hochhebe, legt das Kind seine dünnen Arme um meinen Hals und schmiegt sich an mich. Während ich mich auf den Rückweg mache, suchen meine Gedanken mich heim. Woher nimmt das kleine Wesen in meinen Armen bloß sein Vertrauen? Es kennt mich nicht. Und dennoch.

Noch bevor ich den Hinterhof verlassen, habe schläft mein Schützling.

Ich selbst bin überrascht, als ich merke, dass eine Träne über meine Wange rinnt.

Die Antwort liegt da, breit getreten auf dem Bürgersteig.

Das Kind vertraute mir einfach deshalb, weil ich da war, weil ich half.

Das Geheimnis der Vaterschaft offenbarte sich mir.

Aber das wird mir erst viel später bewusst werden.

Ich bin zurück auf der Hauptstraße. Die Masse bedrängt mich.

Fast wäre ich wieder in den Hinterhof zurückgewichen. Doch ich hatte jetzt Verantwortung.

Wir sind die Eltern unserer Ideen und Phantasien und müssen sie beschützen.

Alles andere wäre ein Verrat an sich selbst.

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