Der Astronaut

Ich hab euch ja versprochen, dass ich die Geschichte für die C’T hier veröffentliche, wenn sie abgelehnt wird.
Ein paar Leute kennen sie auch schon, ich wünsch viel Spaß beim Lesen!

Der Astronaut

Um es gleich vorweg zu nehmen, ich sterbe. Die Tage, in denen ich auf Genesung hoffen konnte, sind schon lange vorbei und mein Leiden kann niemand heilen, denn es wurde von einem Ereignis verursacht, das niemand rückgängig machen kann. Darum können mich die Drohungen gegen mein Leben auch nicht mehr schrecken. Ich will aber nicht sterben, ohne den Menschen dieses Planeten noch eine wichtige Botschaft mit auf den Weg mitzugeben.

Leider konnte ich meiner Familie nicht auch mitteilen, was ich nun hier beichten will, aber es wäre eine zu große Gefahr für sie gewesen, dieses Wissen mit mir zu teilen, und aus Rücksicht auf ihr Leben musste ich bis zu diesem Tag warten, ehe ich mein Schweigen breche. Eigentlich sollte ein Vater seinen Kindern etwas Bedeutendes für ihr Leben hinterlassen, stattdessen aber haben meine Söhne mir etwas hinterlassen, nämlich den Mut und die Kraft nun diese Worte auszusprechen.

Meine Ausbildung zum Astronauten begann ich nach meiner Zeit als Pilot der Royal Navy. Ich wollte schon als Kind immer wissen, wie es ist, höher hinaus zu kommen als andere Menschen. Nach meinem Studium in Flugzeugtechnik und einer achtjährigen Dienstzeit bewarb ich mich beim European Astronaut Corps, einer Abteilung der ESA, die sich mit der Ausbildung aller Astronauten der Europäischen Raumfahrt Agentur beschäftigt. Die ESA hat zwar keine so großartige Vergangenheit wie die NASA, aber es ist ein elitärer Kreis und es machte mir Spaß, meinen Dienst dort zu absolvieren. Man muss dazu sagen, dass lange nicht alle Kadetten des EAC auch die Chance erhalten einmal in den Weltraum zu starten, aber ehrgeizig wie ich war, kämpfte ich mich immer weiter nach oben. Nach 3 Jahren schließlich hatte ich endlich meinen ersten Flug ins All. Es ging um einen einfachen Versorgungs- und Wartungsflug zur ISS, die damals gerade mal 2 Jahre im Orbit um die Erde kreiste. Ich weiß noch, wie ich meinem ältesten Sohn zu erklären versuchte, wo ich in den nächsten Tagen sein würde und was ich dort alles tun müsse, er war damals erst drei Jahre alt und wollte mich gar nicht gehen lassen.

Der Start verlief wie im Bilderbuch, gab keinerlei Verzögerungen oder Problemen und meine zwei Kameraden und ich schwenkten unsere Soyuz-Kapsel wie geplant in einen niedrigen Orbit, wo wir unsere Ausrüstung untersuchten. Keiner von ihnen nahm sich die Zeit einen Blick aus dem kleinen Fenster an der Steuerbordseite des kleinen Raumfahrzeugs zu werfen, aber da es mein Jungfernflug war, konnte ich mich nicht daran satt sehen, wie die Erde als riesiger blauer Ball unter uns seiner ewig gleichen Bahn folgte. Als wir den Terminator, also die Tag-Nacht-Grenze, zum dritten Mal überquerten, fiel mir erstmals etwas Ungewöhnliches auf, das sonst von der Helligkeit der Sonne überblendet worden sein musste. Von der Erde aus stiegen unablässig kleine blau-weiß leuchtende Objekte auf, die sich auf ihrem Weg in die obere Atmosphäre zu größeren Leuchterscheinungen bündelten und immer schneller in Richtung Weltall glitten. Zuerst dachte ich, es wären ungewöhnliche elektrische Phänomene, doch dazu kamen sie zu großflächig und vor allem zu häufig vor. Als ich wusste, worauf ich zu achten hatte, bemerkte ich immer mehr dieser Phänomene, mehr als sich wissenschaftlich erklären ließen!

Da ich mir keinen Rat wusste, fragte ich meine beiden Kameraden, ob sie sich diese Erscheinungen erklären konnten. Doch meine Fragen wurden nur sehr trocken beantwortet, so als gäbe es nichts, dass meine Aufregung in dieser Angelegenheit rechtfertigen würde. Diese Gleichgültigkeit machte mich einerseits ziemlich wütend, verwunderte mich aber auch stark. Beides bewog mich jedenfalls dazu, der Sache weiter nachzugehen. Am meisten aber beunruhigte mich ein einziger Gedanke – warum hatte noch nie jemand von diesen Lichtern gesprochen, geschweige denn sie von der Erde aus beobachtet!?

Das Funkgerät zwang mich aus meinen Gedanken, als sich die Bodenstation in mein Helmsystem drängte. Es gab in der Soyuz zwar keinen Platz für Luxus, aber um den Passagieren zumindest etwas Privatsphäre zu gönnen, bestand die Möglichkeit, sowohl private Gespräche mit den Kameraden zu führen als auch von der Erde zu einzelnen Teammitgliedern Funkkontakt aufzunehmen. Diese Möglichkeit wurde aber nur sehr selten genutzt, wie ich nun im Nachhinein weiß. Aber die Stimme, die ich in meinem Helmfunk nun vernahm, kam nicht aus dem vertrauten Kontrollraum, von dem ich dutzende Starts beobachtet hatte, bevor ich selbst nach oben flog. Diese Stimme hatte von Anfang an etwas Bedrohliches, einen eisigen Unterton, der mir trotz der heuchlerischen Freundlichkeit der Worte durch mein Rückenmark fuhr, wie ein Skalpell. Die Stimme ließ mich auch gar nicht erst zu Wort kommen. In einem fünfminütigen Monolog teilte sie mir Wohnort und Anschrift meiner Familie, die Adresse des Kinderhorts meines Sohnes sowie der Arbeitsstelle meiner Frau mit. Versehen mit der unmissverständlichen Aufforderung mich nicht um Dinge zu kümmern, die außerhalb meiner Mission lagen. Angstschweiß lief über meine Stirn. Das alles ging so unglaublich schnell, dass ich nicht umhin kam meine Kameraden verhohlen nach Anzeichen von Mitwisserschaft zu mustern. Aber in ihren Augen konnte ich nur die gleiche Geschäftigkeit entdecken, die sie schon die ganze Zeit an den Tag legten. Dennoch, ich wusste dass sie genau ahnten, warum ich plötzlich so kreidebleich im Gesicht war. Man hatte auch ihnen mit Konsequenzen gedroht, darum waren sie so gleichgültig gegenüber diesem Wunder.

Was soll ich groß sagen. Ich habe mich dem Ganzen natürlich gefügt, um meiner Familie das Leben zu retten. Wäre das Schicksal nicht so unberechenbar, wären diese Worte wohl niemals über meine Lippen gekommen. Das Schicksal kam in Gestalt eines Wintersturms.

Sarah war mit meinen Söhnen auf dem Rückweg von ihren Eltern, die sie über Weihnachten besucht hatten. Die Jungs hatten ein sehr herzliches Verhältnis zu ihren Großeltern, darum fuhren wir zu allen Feiertagen die 200 Kilometer bis zu ihnen nach Hause. Leider konnte ich in diesem Jahr nicht mitkommen, weil ich in Kourou festsaß, wo wir unseren nächsten Trip nach oben probten.

Ich habe nicht viele Informationen über das, was an diesem Abend passiert ist. Die Straßen waren wohl aufgrund eines überraschenden Eisregens spiegelglatt. Warum ihr Wagen aber von der Straße abgekommen ist, konnten die ermittelnden Beamten nicht feststellen(vielleicht weil´s spiegelglatt war???). Sie versuchten noch, mich am Telefon zu trösten, indem sie mir sagten, die drei hätten nicht gelitten und seien sofort gestorben. Geholfen hat es nicht im Geringsten. Meine Familie starb im Eis, während ich in Shorts herum lief, um die Hitze halbwegs zu ertragen.

Die nächsten Wochen und Monate verschwimmen in meinen Erinnerungen, wie ein Bild aus Wasserfarben, das im Regen vergessen wurde. Der psychologische Dienst suspendierte mich vorläufig, schickte mich auf unbestimmte Zeit in Urlaub und unterzog mich in regelmäßigen Abständen besonderen Tests, mit denen man meine geistige Verfassung überprüfen wollte. Ich jedoch hatte nichts anderes im Sinn, als wieder ins All zu kommen. Ich habe keinen blassen Schimmer, was ich mir davon erhoffte wieder hoch zu fliegen, vielleicht wollte ich so viel Distanz zwischen mich und die Umwelt bringen, die mein Glück zerstört hatte. Und ja, es gab noch einen Grund, wieder in einer engen kleinen Kapsel mit mehr als zehntausend Metern pro Sekunde aus dem Erdanziehungsfeld geschleudert zu werden. Es zog mich quasi an wie das sprichwörtliche Licht die Fliege. Ich wollte hinter das Geheimnis des Leuchtens kommen. Ich wollte mein Leben verspielen, indem ich diese Sache endlich aufklärte. Ja, das trifft es wohl am besten. Ich wollte sterben.

Es war alles andere als einfach, meinem psychologischen Betreuungsteam diesen Plan zu verheimlichen, doch ich hatte einen starken Willen und die nötige Motivation es zu schaffen, und so war es auch. Kein halbes Jahr nachdem ich meine Familie verloren hatte, war ich wieder auf der Startliste.

Wie es der Zufall so einrichtet, sollte es auf der Mission, für die ich eingeteilt wurde, auch einen längeren Außeneinsatz geben, mit dem die Notfallsysteme der russischen Kapsel getestet werden sollten. Außerdem kam ein neuartiges Boosterpack zum Einsatz, mit dem ein Mensch in seinem Raumanzug theoretisch mehrere Stunden autonom im All navigieren sollte. Dies würde mir die Chance geben, meine Ziele zu erreichen. Es gab nur ein einziges Problem zu lösen. Ich wollte nicht nur mir eine Erklärung über diese Leuchtkörper liefern, sondern auch den Menschen unten auf der Erde von ihnen berichten, da mir in den Monaten seit der heimlichen Warnung klar geworden war, dass dieses Geheimnis alle Menschen betreffen musste. Nur wie sollte ich das bewerkstelligen?

Auch hier kam mir wieder der Zufall- oder das Schicksal – zu Hilfe. Mich beschlich der Gedanke, dass diese vielen Zufälle schon fast zu gehäuft auftraten, aber mir blieb nichts anderes übrig, als die Chancen anzunehmen die sich mir boten. Die ESA war eine noch relativ junge Institution, aber bereits sehr erfolgreich. Erfolg erregt immer Interesse, in diesem Fall das Interesse der Medien, die sich besonders für Bilder aus der Perspektive eines einzelnen Mannes inmitten des absoluten Nichts faszinieren konnten. Am besten untermalt von unverfälschten Eindrücken direkt aus dem Mund dieses einsamen „Staubkorns”, das sich zwischen den Planeten tummelt. Besser hätte ich es nicht treffen können. Eine Liveübertragung aus dem Weltall, und ich musste nur noch zustimmen.

Irgendjemand verdammt Kluges hat einmal behauptet, das Universum wäre nur dazu da, seine eigene Existenz zu ergründen. Energie kann nicht denken, Plasma kann nicht phantasieren, Sterne können nicht fühlen, Planeten nicht lieben, Tiere nicht hassen und den Menschen fehlt immer ein größerer Blickwinkel auf das Ganze. Sie alle sind nur Stufen auf dem Weg, eine Antwort auf diese eine, alles umfassende Frage zu finden und jeder Teil des Universums trägt seinen kleinen aber wichtigen Teil zur Lösung des Ganzen bei.

Langer Rede kurzer Sinn; mein Plan ging auf. Während sie da unten hoffentlich gebannt auf ihre Fernsehschirme, ihre Radiogeräte oder den Monitor ihres Computers starren und meinem Rückblick zugehört haben, schwebe ich etwa 3 Kilometer von dem Punkt entfernt, an dem ich meine Raumkapsel verließ. Da ich Teamleiter bin, konnte ich unseren Kurs so festlegen, dass wir mehrmals die Tag-Nacht-Grenze passierten. So hatte ich genug Zeit einen Ort auszuwählen, an dem die Dichte an Leuchtern am größten war, ehe ich mich in meinen Raumanzug zwängte und mir das Exoskelett des Boosters überstreifen ließ. Mein Empfangsgerät habe ich aus Gründen der Energieeinsparung ausgeschaltet, da ich nicht sicher wusste, wie lange ich noch würde senden müssen. Doch meine Befürchtungen haben sich nicht bewahrheitet. Die Leuchter treten hier nicht nur in großer Zahl auf, sie scheinen sogar von meiner Präsenz angezogen und nähern sich mir, während auch ich auf sie zu gleite. Ich kann nur schwer wiedergeben, wie es sich anfühlt, wenn sie einen berühren. Ich komme mir vor, wie ein kleines Schiff auf dem Ozean, das von einer Herde Delfine in Richtung Horizont getragen wird. Es ist ein erhebendes Gefühl, so zwischen Erde und Unendlichkeit von etwas an die Hand genommen zu werden, das eine solche Sicherheit ausstrahlt. Keines dieser Lichter weiß oder ahnt, was es auf seiner Reise erwartet, dennoch strahlen sie mit ihrem Leuchten eine unbeschreibliche Freude aus, die sogar durch mich flutet, wie Sonnenlicht durch ein Fenster. Es ist mehr eine Ahnung als echtes Wissen, doch ich beginne zu begreifen, dass ich hier einem viel größeren Wunder gegenüberstehe, als ich es mir ausgemalt hatte. Diese Lichter sind so etwas wie die Seelen, die Essenz dessen, was von uns Menschen übrig bleibt, wenn wir sterben! Darum sind sie überall zu finden und deshalb nehmen sie mich so vertraut in ihrer Mitte auf! Der Grund, warum ich nicht darüber sprechen durfte, was ich vor so vielen Jahren entdeckte hatte, war letztlich doch nur die Furcht einiger Weniger eine Kontrolle über etwas zu verlieren, die sie nie hatten, nämlich über die Menschen selbst. All diese Dinge erkenne ich, ohne den geringsten Groll gegen meine Widersacher, denn so klar sich mir nun erschließt weshalb sie mich und vor mir schon so viele andere unter Druck gesetzt hatten, so klar erkenne ich auch wie sinnlos und unwichtig diese Taten waren.

Mit einer nahezu kindlichen Freude nehme ich all diese Fakten auf, denn auch für mich wird es bald ein Licht geben, das seinen Weg in die Weiten des Alls antritt, und vielleicht auch eine Chance, meine Familie wieder zu finden.

Diesen letzten Gedanken umklammernd trete ich meine Reise zurück zur Erde an, mein Treibstoff ist schon seit mehr als einer Stunde zur Neige gegangen und mein Luftvorrat wird mir erlauben noch eine lange Zeit das wunderbare blau unseres Planeten zu betrachten, ehe mich das Kohlendioxid in einen traumlosen Schlaf schickt und ich beim Eintritt in die Atmosphäre der Erde verglühe.

Das nächste Mal werde ich mit einem viel größeren Blickwinkel erwachen!”

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